Auch bei der EZB wird die Inflation nun nicht mehr verniedlicht. Doch hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen ist die Schweiz. Und was macht die? Nichtstun bringt dem „Safe Haven“ Segen.

Höhepunkt der Preisspirale in USA doch noch nicht erreicht. Bei allen Laufzeiten steigen die Zinsen. Und sie steigen schnell. Schnelles Handeln ist gefragt. In USA vielleicht, aber hier? Trittbrettfahrer sind ein Problem.

Edelstahlmarkt als Frühindikator mit Signalen sommerlicher Dämpfung. Durchatmen ist angesagt. Auch das Rohstoffangebot ist preiselastisch. Aktuell fehlt das Gleichgewicht.

Outsourcing allenthalben: bei Unternehmen, bei der Energieversorgung, bei der Sicherheit und beim Staat. Damit ist kein Staat zu machen. Verantwortung bleibt trotz Delegation. LME ringt um Vertrauen.

EZB wird langsam nervös
Bei der Inflation in der Eurozone (und in den USA) scheint es sich nicht nur um ein vorübergehendes Phänomen zu handeln. Die durch mehr als ein Jahrzehnt ultralockerer Geldpolitik gelegte Basis für die Geldentwertung lässt sich nicht von heute auf morgen beseitigen. Und eine Bekämpfung durch zögerliche Zinserhöhungen ist auch nicht wirklich für schnelle Wirkungen geeignet. Zusätzlich macht in der Eurozone ein sehr diverser Wirtschaftsraum das Gegensteuern schwer. Denn wo höhere Zinsen, das eine Land vielleicht zu stark belasten, sind die Zinsschritte für andere Länder bei weitem zu langsam. Natürlich werden die Zentralbanken eine Verantwortung für die Inflation weiter abstreiten, aber dass es nicht überall in Europa so ist, zeigt ein Blick in die Schweiz.

Nichtstun bringt Segen
Bei den Eidgenossen zeichnet sich erstmals ein stärkerer Anstieg der Teuerung an. Mit 2,9% ist dieser aber noch weit von den 7,9% in Europa entfernt. Am Leitzins der Schweizerischen Nationalbank (SNB) liegt das nicht, auch dieser liegt unter Null, genauer gesagt bei minus 0,75%. Allerdings hat sich die SNB von solchen Interventionen, wie der Geldflutung durch Anleihekaufprogramme zur Schuldenfinanzierung, zum Beispiel der Peripherieländer Italien und Portugal, fernhalten können. Damit wird dem Schweizer Franken durch die Anleger auch weiterhin die Funktion einer Reservewährung oder eines sicheren Hafens zugestanden.

Unweigerlich lastet dadurch insbesondere in Krisenzeiten ein beinahe fortwährender Aufwertungsdruck auf dem Franken. Um die eigenen Exporte aber nicht zu stark zu bremsen, hat die SNB daher in den vergangenen Jahren regelmäßig am Devisenmarkt interveniert und durch Verkäufe von Schweizer Franken die Währung abgeschwächt. Nun ist sie daher in der komfortablen Situation, lediglich das tun zu müssen, was die meisten Menschen am besten können, nämlich Nichts. Schon das allein sorgt für eine Aufwertung der Währung und bremst damit einen Teil der außenorientierten Wirtschaft.

Zum anderen werden durch einen starken Schweizer Franken aus dem Ausland importierte Produkte billiger, was die Preisentwicklung zusätzlich dämpft. Insofern zeigt sich deutlich, dass sich ein eher homogener Wirtschaftsraum besser für eine einheitliche Geldpolitik eignet als ein politisches Gebilde wie die EU und Eurozone. Zwar ist auch der Euro einigermaßen solide, aber eben kein sicherer Hafen wie der Franken. Daher reicht Nichtstun hierzulande nicht aus. Noch ist auch im Euroraum nicht alles Pulver verschossen, wenn man jetzt endlich das Schwadronieren einstellt und beherzt zu Zinserhöhungen greifen würde. Das wird für manche Länder zwar schmerzhaft, aber dafür wurde über Jahre auch schon auf Kosten der Zukunft gelebt. Das muss logischerweise nun korrigiert werden. Alles hat einen Preis.

Aktueller Nachtrag: die Schweizer Zentralbank SNB hat am 16.06.2022 überraschend den Leitzins um deutliche 0,5% erhöht. Das zeigt, dass diese ihr Mandat hinsichtlich Geldwertstabilität ernster nimmt als die EZB. Die Erhöhung kommt rechtzeitig, auch wurden weitere Erhöhungen in Aussicht gestellt.

Zinsen steigen schneller und höher
Der Druck für deutliche Zinserhöhungen wird in den kommenden Tagen und Wochen weiter steigen, denn auch in den USA hat sich die Hoffnung zerschlagen, dass die Inflationsentwicklung den Höhepunkt bereits erreicht hat. So befinden sich die Renditen für 10-jährige US-Staatsanleihen bereits bei 3,25% und auch die kürzeren Laufzeiten steigen weiter an. Das sorgt auch für fallende Aktienkurse und Sorgenfalten an den Immobilienmärkten. Dennoch ist eine zwar unangenehme, aber gleichwohl geordnete Korrektur an den Märkten wahrscheinlicher als das Platzen einer Blase.

Denn die Inflation wird derzeit in nicht geringem Maße auch von Trittbrettfahrern getrieben, die das Umfeld steigender Preise nicht lediglich zur Weitergabe höherer Einstandskosten, sondern vor allem opportunistisch zur Erhöhung der eigenen Margen nutzen. So wird berichtet, dass zum Beispiel Leasingbanken bei der Pkw-Finanzierung nicht nur Zinsen anheben, sondern gleichzeitig Restwerte reduzieren. Etwas überraschend, wenn man weiß, dass der Gebrauchtwagenmarkt leergefegt ist und die Produktion der bestehenden Nachfrage kaum hinterherkommt.

Aber Bürgerinnen und Bürger sind eben auch nicht blöd und lassen sich weder als Wählerinnen und Wähler, noch als Konsumenten auf Dauer an der Nase herumführen. So werden sich derartige Preiserhöhungen nicht als nachhaltig erweisen und durch einen entsprechenden Nachfragerückgang wieder ins Gleichgewicht kommen, bei entsprechend sinkenden Inflationsraten. Wichtig wäre, dass durch den Einsatz geeigneter Instrumente, wie der genannten beherzten Zinserhöhungen, die Inflationsraten deutlich zurückgehen, bevor sich diese durch entsprechende Nominallohnerhöhungen auf längere Zeit zementieren und eine Aufwärtsspirale in Gang kommt.

Edelstahlmarkt sommerlich ruhig
Im Bereich der Edelstahlrohstoffe ist eine Marktberuhigung bereits festzustellen, die allerdings nicht nur auf geringere Auftragseingänge der gerade genannten gewerblichen und privaten Konsumenten zurückzuführen ist, sondern vor allem auch auf saisonale Effekte und die üblichen Wartungsarbeiten an den bestehenden Aggregaten. So weisen Chrom, Nickel, Molybdän und Eisen derzeit eine schwächere Tendenz aus, allerdings gibt es auch hier Spezialisten, die ein vermutlich eher temporäres Nachfragedefizit verbunden mit entsprechender Marktmacht als das „New Normal“ propagieren.

Wenn man allerdings die Funktionsweise von Märkten über einen längeren Zeitraum studiert hat, wird unweigerlich auffallen, dass Preisrückgänge ebenso normal sind wie Preisanstiege. Und gerade auch bei Edelstahlschrott kommt mit der sehr preiselastischen Verfügbarkeit ein weiterer Aspekt hinzu, der nach einer Bodenbildung und einem Anstieg der Rohstoffnachfrage, auch unweigerlich wieder zu steigenden Preise führt. Und je erratischer die durchgesetzten Preisreduzierungen sind, umso erratischer werden auch die späteren Preiserhöhungen sein. Es ist ein fortwährendes Geben und Nehmen zwischen Käufer und Verkäufer, denn zu einem Kaufvertrag gehören schließlich immer zwei Parteien. This is the old and new normal. Aktuell handelt Nickel an der LME übrigens bei Notierungen um leicht über USD 25.000,00/mt.

Staat kann nicht alles outsourcen
Es gibt eine Tendenz in Deutschland, aber auch in anderen westlichen Nationen, dass der Staat zunehmend bemüht ist, hoheitliche Aufgaben auf private Unternehmen zu übertragen. So müssen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in Deutschland bereits seit einiger Zeit (grenzüberschreitende) Steuersparmodelle den Finanzbehörden melden. Das was absurd klingt, ist inzwischen auch schon in die EU-Gesetzgebung übernommen. Doch so wird der Berater nicht mehr für seinen Mandanten tätig, sondern ist vielmehr Erfüllungsgehilfe des Gemeinwesens zur Überwachung der Einhaltung der steuerlichen Pflichten der privaten und geschäftlichen Steuerzahler. Eine mitunter schwere Bürde für das Vertrauensverhältnis Berater und Mandant.

Auch bei den Banken und in der Finanzindustrie ist dieses Phänomen bestens bekannt. Die Finanzinstitute sollen hinsichtlich ihrer Kunden durch entsprechende KYC (Know-your-customer)-Prozesse sowie durch Filterung von Zahlungsverkehrstransaktionen sicherstellen, dass in Sachen Sanktionen, die sich mitunter auch zwischen EU, USA und UK widersprechen können, sowie Geldwäsche und Betrug alles in Ordnung ist und entsprechende Verdachtsfälle melden. Auch hier werden hoheitliche Aufgaben von Ermittlungsbehörden übernommen und erfüllt. Zusätzlich sieht es so aus, dass durch entsprechenden Druck und durch Berücksichtigung in den entsprechenden Kreditentscheidungsprozessen, Kunden von ihren Banken zu einem guten Verhalten in Sachen ESG (Umwelt, Soziales und Governance) angehalten werden sollen.

Aus staatlicher (und vielleicht auch gesellschaftlicher) Sicht ist das eine schöne Sache, denn zum einen verpflichtet man so durch entsprechende Gesetze und Verordnungen zahlreiche weitere Hinweisgeber und Ermittler, ohne dass dies für das Gemeinwesen mit höheren Kosten verbunden wäre. Im Gegenteil kann man auf der hoheitlichen Seite sogar entsprechende Kosten einsparen. Allerdings ist es üblicherweise so, dass bei einer Delegation die Verantwortung und Verantwortlichkeit letztlich beim Delegierenden verbleibt. Anders aber in den vorstehend beschriebenen Konstellationen, wo inzwischen selbst leichte Fahrlässigkeit zu einer drakonischen Sanktionierung derjenigen führen, denen die hoheitlichen Aufgaben (ohne deren Wunsch oder Zustimmung) delegiert wurden.

Nun steht völlig außer Frage, dass Gesetze und Regeln mit entsprechender parlamentarischer Legitimation geschaffen wurden, um eingehalten zu werden, sonst funktioniert eine Gesellschaft und auch eine Volkswirtschaft nicht. Allerdings ist es eigentlich Aufgabe von staatlichen Ermittlern wie Finanzbeamten und Betriebsprüfern oder auch der Polizei entsprechende Sachverhalte zu prüfen und aufzuklären. So wundert es nicht, dass es inzwischen auch eine (meist hinter vorgehaltener Hand geführte) Diskussion gibt, ob es nicht inzwischen in manchen Bereichen eine „Over-Compliance“ gibt, die sich negativ auf die Funktionsfähigkeit und Effizienz sowie die eigentlich notwendige Vertrauensbasis von monetären und ökonomischen Systemen auswirkt.

Allerdings sind auch die deutschen Unternehmen selbst Weltmeister im Outsourcing, wie eine bislang hohe Kosteneffizienz, aber auch die aktuellen Probleme in den Lieferketten plastisch vor Augen führen. Da ist es nicht überraschend, dass der Staat nicht nachstehen möchte und dieses „Erfolgsmodell“ übernommen hat. So wird die deutsche Publizistin und Außenpolitik-Expertin Constanze Stelzenmüller im englischen Wirtschaftsmagazin „Economist“ so zitiert, „dass Deutschland seine Sicherheit an die Vereinigten Staaten outgesourct hat, seine Energieversorgung an Russland und sein exportorientiertes Wachstum an China!“ Na dann, good luck!

LME bemüht um Vertrauen
Die London Metal Exchange (LME) ist weiter bemüht, dass verlorene Vertrauen bei den Marktteilnehmern und Stakeholdern zurückzugewinnen. So war Robin Martin, Head of Market Development der LME als Teilnehmer einer Session bei der Bureau of International Recycling (BIR) Convention Ende Mai in Barcelona zu Gast. Aus erster Hand konnte er die ergriffenen Maßnahmen nach der Marktverwerfung ebenso erläutern, wie Perspektiven in die Zukunft aufzeigen. Kommunikation und Austausch sind dabei eine ganz wichtige und richtige Komponente, will man an den Erfolg der LME vor dem Chaos im Nickelkontrakt anknüpfen. Die Handelsvolumen im Nickelkontrakt sind gemäß dem offiziellen Reporting zunächst kollabiert und haben sich bis heute gegenüber den Transaktionen vor der Krise in etwa halbiert.

Von den Untersuchungen der Bank of England und der Financial Conduct Authority sowie der von der LME selbst angestoßenen, unabhängigen Untersuchung hört man derweil allerdings zu wenig. Das ist gar nicht gut, denn es kommt für eine erfolgreiche Lösung vor allem auch auf die Zeit an. Inzwischen liegen zahlreiche Beschwerden über das Verhalten der LME vor, so auch von der Managed Futures Association (MFA), einem Interessenverband der Hedge Fund Industrie, welcher immerhin 140 Investmentunternehmen vertritt. Immer wieder geht es um die Frage, ob die LME am Dienstag, den 8. März 2022 nicht nur den Handel aussetzen, sondern vor allem auch abgeschlossene Trades und Transaktionen stornieren durfte. Auch steht die Frage im Raum, ob es durch die Tatsache, dass die LME Eigentümerin des Clearing-Hauses LME Clear ist, möglicherweise Interessenkonflikte gegeben hat.

Verständlicherweise sind diejenigen Parteien aufgebracht, deren Positionen einen hohen Buchgewinn hatten, der schließlich durch die Stornierungen wieder verschwunden ist. So ist es kein Wunder, dass bereits zwei Klagen von Investoren vorliegen. So versuchen der US Hedge Fund Elliott Management sowie das UK-Handelshaus Jane Street die „entgangenen“ Gewinne gerichtlich geltend zu machen. Nun wird sich zeigen müssen, ob das Regelbuch (rulebook) der LME und die Umstände die Entscheidung des Special Committee deckt. Insbesondere, ob es sich in der seinerzeitigen Situation um einen ungeordneten Markt, einen „disorderly market“ handelte oder nicht.

Wie der Reuters-Kolumnist Andy Home in seinem Artikel schreibt, geht es Jane Street natürlich nicht um das Monetäre, sondern darum ein Zeichen gegen das unvernünftige Verhalten einer Börse zu setzen. Es geht also ums Prinzip, sicher? Sicher ist, dass die Anwälte, die sich nun mit Formulierung der Klagen und Durchführung der Prozesse beschäftigen, nicht leer ausgehen werden.

Volkswagen gewinnt durch Nickelverwerfung
Im vorstehenden Zusammenhang hat durchaus Nachrichtenwert, dass auch der Volkswagen-Konzern von den Ereignissen an der LME betroffen war. Im Quartalsbericht für das erste Quartal 2022 berichtet der VW-Konzern, dass es – trotz eines erheblichen Rückgangs der Fahrzeugauslieferungen von 1,9 Millionen gegenüber 2,4 Millionen im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres – gelungen ist, das operative Ergebnis um EUR 3,5 Mrd. auf EUR 8,3 Mrd. zu steigern. Das ist bei einem derart hohen Rückgang der Fahrzeugzahlen erstaunlich. Daher wird der Vorstandsvorsitzende Diess von den Kapitalmärkten für die gute Performance gefeiert.

Schaut man genauer hin als die meisten Analysten und Journalisten, fällt auf, dass in dem soliden Quartalsergebnis wie der Bericht auf Seite 1 schreibt „positive Effekte aus Derivaten außerhalb des Hedge-Accounting (Rohstoffpreissicherung) in Höhe von EUR 3,5 Mrd.“ enthalten sind. Auf Seite 19 wird man noch konkreter und informiert im Kleingedruckten, dass es sich insbesondere um die Rohstoffsicherung für Nickel gehandelt hat.

Das muss man allerdings erklären: Volkswagen hat mit einer gewissen Weitsicht Nickelpreissicherungen vorgenommen, um sich gegen Preissteigerungen bei Nickel hinsichtlich des zukünftigen Bedarfs von Batterien für Elektrofahrzeuge, die in nicht unerheblichem Umfang Nickel enthalten, abzusichern. Dadurch, dass die Nickelkurse durch die bekannte Marktverwerfung im ersten Quartal erheblich gestiegen waren, macht Volkswagen auf die bestehenden Absicherungspositionen einen erheblichen Buchgewinn. Interessant wird allerdings der entsprechende Ergebniseinfluss in den folgenden Quartalen sein, da die Nickelkurse seitdem wieder deutlich gefallen sind.

Die entsprechenden Buchgewinne müssen dann wieder ergebniswirksam korrigiert werden und belasten das Quartalsergebnis. Spätestens dann werden der Kapitalmarkt und die Journaille wieder wach. Dann wird aber, in Abhängigkeit vom Umfang der Korrektur, nicht mit Kritik gespart werden. Da könnte Herrn Diess, je nach Kursverlauf an der LME, ganz schön was auf die Lackschuhe fallen. Er wird das wohl schon wissen, sonst kann er es ja hier nachlesen.

LME (London Metal Exchange)

LME Official Close (3 Monate)
17. Juni 2022
  Nickel (Ni) Kupfer (Cu) Aluminium (Al)  
Official Close
3 Mon.Ask
25.450,00
USD/mt
9.100,00
USD/mt
2.502,00
USD/mt
 
LME Bestände in mt
  18. Mai 2022 17. Juni 2022 Delta in mt Delta in %
Nickel (Ni) 73.002 68.868 – 4.134 – 5,66%
Kupfer (Cu) 180.925 118.025 – 62.900 – 34,77%
Aluminium (Al) 518.900 407.875 – 111.025 – 21,40%

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