Starke Stimuli erst im Westen, dann im Osten
Als hätten der US-Zentralbankchef und sein Gremium die letzte Ausgabe der Oryx News gelesen, ist es tatsächlich zu einem großen Zinsschritt („Doppel-Wumms“) gekommen. Wie erhofft senkte die Federal Reserve (Fed = US-Zentralbank) den Leitzins erstmalig seit 2020 und dabei gleich um 0,5 Prozent. Der Vorsitzende der Fed, Jerome Powell, bezeichnete den Schritt als „Rekalibrierung“. Die Stimulierung wurde schon seit einiger Zeit erwartet, aber die Märkte waren geteilter Meinung darüber, wie weit die politischen Entscheidungsträger gehen würden. Eine Senkung um 25, 50 oder gar 75 Basispunkte? Ein verbraucher- oder produzentenorientierter Stimulus? Dies waren die Fragen, die im Vorfeld der Ankündigung gestellt wurden.
In diesem Fahrwasser wollte dann auch China nicht nachstehen und kündigte seinerzeit umfangreiche Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft und insbesondere Belebung des krisenhaften Immobiliensektors an. Dort hatte es schon zuvor Versuche gegeben, die de facto kaum noch vorhandene Immobiliennachfrage durch private Immobilienkäufe zu stimulieren. Diese wurden aber bislang – in Anbetracht der Schwere der Krise – als viel zu zaghaft eingeschätzt. Nun muss es sich dem Vernehmen nach aber um einen größeren Wurf handeln, mit dem die chinesische Regierung der Erreichung der Wachstumsziele auch wieder eine klare Priorität einräumt. Die People’s Bank of China (PBoC) senkte den Leitzins, kündigte eine großzügigere Kreditvergabe an und startete einen Aktienrückkauf.
Dementsprechend hat sich die Stimmung an den Finanzmärkten deutlich aufgehellt. Die Aktienmärkte reagierten unverzüglich mit deutlichen Kurssteigerungen. Der S&P 500 und der DAX erreichten aufgrund der Lockerung der Fed neue Höchststände, während der chinesische CSI 300 Index aufgrund der Ankündigung der PBoC Ende September um 4,3% anstieg. Ein höheres Wachstum der Weltwirtschaft sorgt aber auch für eine größere Rohstoffnachfrage und so konnten sich die Preise der Industriemetalle in den letzten Tagen ebenfalls klar befestigen. So stieg der Nickelpreis an der London Metal Exchange (LME) von einem Tief Mitte September bei knapp über USD 15.700,00/mt auf ein Hoch von rund USD 18.200,00/mt und handelt aktuell bei USD 17.840,00/mt. Kupfer konnte zwischenzeitlich die Marke von USD 10.000,00/mt überwinden und Aluminium handelt bei über USD 2.650,00/mt.
Viele spekulative Anleger waren aufgrund der schwächelnden Ökonomie in den USA, Europa und China zuletzt eher pessimistisch eingestellt und hatten daher durchaus wesentliche Verkaufspositionen im Markt platziert. Diese wurden nun auf dem falschen Fuß erwischt und mussten daher die Positionen (hektisch) zurückkaufen, was die Preise in den letzten Tagen zusätzlich und schneller nach oben gebracht haben dürfte. Die derzeit eskalierende geopolitische Lage wurde bei diesen Bewegungen aber scheinbar völlig ausgeblendet, was wohl – bei aller Tragik der Ereignisse – an der prinzipiell nur geringen ökonomischen Bedeutung der involvierten Mächte für die weltwirtschaftliche Entwicklung liegen könnte.
Während das Vorgehen der beiden größten Volkswirtschaften der Welt als aggressiv bezeichnet wurde, sind andere Entscheidungsträger vorsichtiger. Die Europäische Zentralbank wird wahrscheinlich der Fed folgen, während die Bank of England und Japan keine Änderungen vorgenommen haben. Darüber hinaus wird bis Ende des Jahres mit weiteren Zinssenkungen um insgesamt 50 Basispunkte gerechnet. Klar scheint allerdings auch, dass Jerome Powell und die Fed nicht noch ein zweites Mal zu einem solch großen Zinsschritt greifen werden, um die Konjunktur zu stützen.
LME Week als Forum der Meinungen
Hinsichtlich einer breiteren Einschätzung der Situation passt es geradezu gut, dass in London die traditionelle LME Woche stattfand, ein Stelldichein der Stakeholder der Londoner Metallbörse aus aller Welt. Neben dem festlichen Höhepunkt der Veranstaltung, dem LME Dinner, bietet das Format auch viel Raum für Meetings und Events von Banken und Brokern, in denen es um die Analyse und den Austausch über Marktentwicklungen und die makroökonomischen Rahmenbedingungen geht. Wegen der relativen Kurzfristigkeit der Ereignisse waren die Zinssenkung in den USA und die weitreichenden Konjunkturmaßnahmen in China jedoch noch nicht so sehr Gegenstand der Analystenpräsentationen auf den diversen Veranstaltungen. Allerdings boten die zahlreichen Empfänge und Pausen, viele Möglichkeiten sich auf Gängen, Fluren und in Foyers über die letzten Neuigkeiten auszutauschen.
Teilnehmer verorten die Stimmung als insgesamt irgendwo zwischen „nicht gut, aber auch nicht katastrophal“. Das sind zwar nur einzelne, subjektive Eindrücke, aber ein zuletzt erschienener Beitrag des Nachrichtenportals Bloomberg, kommt zu einem ähnlichen Tenor. Nach den dortigen, ebenfalls sehr individuellen Einschätzungen, scheint insbesondere bei den westlichen Repräsentanten eine große Vorsicht zu bestehen. Die Stimuli in den USA und China dürfen nicht überbewertet werden. Hingegen, so der Bloomberg-Artikel, schienen sich Vertreter aus China deutlich optimistischer gezeigt zu haben. Bei den Maßnahmen, insbesondere denen in China, soll es sich aus deren Sicht in der Tat um „Game Changer“ für die weitere Entwicklung handeln.
Das ist bei all der schlechten Stimmung zunächst einmal eine gute Nachricht, aber auch insofern durchaus ernst zu nehmen, da China mittlerweile bei der Nachfrage nach allen Rohstoffen und auch in der Edelstahlproduktion eine dominierende Rolle spielt. Die Anteile an der Weltproduktion und am Verbrauch liegen bei 50% und mehr. Sollte die Wirtschaft in China also tatsächlich wieder stärker wachsen, dürfte das einen entsprechend großen positiven Einfluss auf die Region und den Rest der Welt haben. Noch ist es zu früh, dass sich die genannten Maßnahmen bereits in volkswirtschaftlichen Daten widerspiegeln. Die bessere Stimmung muss erst einmal auch zu einer höheren Nachfrage führen.
So beschränkt sich der Beitrag von Bloomberg – zum Beleg des Stimmungsumschwungs – eher auf gewisse Indizien, wie zum Beispiel 21,4 Millionen an einem Tag verkaufter Eisenbahnfahrkarten zum Beginn der Golden Week-Ferienwoche, welche einen Rekordwert darstellen. Ein wenig Geduld ist daher noch erforderlich. Aber die Entwicklung der Aktienkurse und Rohstoffpreise scheint diese Erwartung offensichtlich bereits vorwegzunehmen. Überaus interessant werden daher die nächsten Publikationen der Einkaufmanager-Indizes und dabei insbesondere die Erwartungskomponente sein.
Und sollten im weiteren Verlauf nicht nur die Spekulanten an Aktien- und Rohstoffbörsen aktiv werden und Vertrauen finden, sondern auch die Lagerhalter, Händler und Verbraucher von Stahl- und Edelstahl, dann steht vielleicht sogar einer früher als erwarteten Erholung der Realwirtschaft nichts im Wege. Die bisherige Abschwächung bei den Rohstoffen, einschließlich Öl und Metallen, spiegelte das Überangebot und die mangelnde Endnachfrage wider, was nun als ein weiterer positiver Katalysator für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen und weitere Leitzinsreduzierungen sein könnte. Die Senkung der Inputkosten hat den Inflationsdruck verringert. So ist auch der Seefrachtindex von Drewry zwischenzeitlich um mehr als 30% gesunken (auch wenn der Index im Jahresvergleich um mehr als 160% gestiegen ist).
Insgesamt bleibt die berechtigte Hoffnung, dass die starken Impulse aus den USA und China ausreichen, um die Stimmung nachhaltig zu drehen.
Indonesien: eine neue Phase auf dem Weg zum Nickel
Im Diskurs über Wirtschaftswachstum und Mineralienabbau ist es wichtig, eine ausgewogene Perspektive beizubehalten – insbesondere, wenn man Indonesiens schnell wachsende Nickelindustrie betrachtet. Nickel ist ein wesentlicher Treiber der indonesischen Wirtschaftsentwicklung, aber Kritiker weisen darauf hin, dass der komparative (Kosten-) Vorteil des Landes bei der Nickelproduktion auf mitunter nicht nachhaltigen Praktiken basiert. Hierzu gehören eine starke Abhängigkeit von der Kohleenergie und weniger strenge Umweltstandards.
Es ist jedoch zu einfach und auch wenig zielführend, Schwellenländer für eine fehlende Nachhaltigkeit zu kritisieren, ohne gleichzeitig anzuerkennen, dass Industrienationen mit heute strengen Umweltvorschriften auf ihrem Weg zur Wohlstandsmehrung zahlreiche ökologische und auch sonstige Fehltritte begangen haben, selbst in jüngster Zeit. Diese Tatsache ist zwar grundsätzlich keine Entschuldigung für Umweltverschmutzung, Artensterben und übermäßige CO2-Emissionen, aber will man (vielleicht auch gemeinsam und schnell) Verbesserungen erreichen, ist es wichtig, die Diskussion nuanciert und konstruktiv zu führen.
Wird über den indonesischen Nickelsektor gesprochen, liegt der Fokus häufig auf den damit verbundenen Umweltproblemen und das zu Recht. Der Austausch muss aber auch die Bemühungen und die schrittweisen Verbesserungen des Landes in die richtige Richtung einbeziehen und auch würdigen. Ziel ist die Motivation und Unterstützung mehr für das Land, aber auch für die Umwelt, Sozialstandards und Compliance zu erreichen.
Um ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen Nachhaltigkeit und wirtschaftlichem Wachstum zu schaffen, hat Indonesien eine Reihe von Initiativen für die nächste Phase der Entwicklung des Nickelsektors auf den Weg gebracht. In unserem letzten Newsletter berichteten wir zum Beispiel über SIMBARA, eine Initiative der indonesischen Regierung zur Verbesserung der Aufsicht und Kontrolle zur Verringerung illegaler Bergbauaktivitäten. Indonesien beabsichtigt außerdem, die inländische Wertschöpfungskette bei Nickel weiter zu verlängern und so langfristig Werte zu schaffen, anstatt eine kurzfristige Ausbeutung der vorhandenen, unaufbereiteten Erze zu erlauben. So eröffneten Hyundai und LG Energy Solution im Juli die erste Batteriefabrik Indonesiens (und Südostasiens) – auch eine symbolische Abkehr von der hohen Abhängigkeit von chinesischen Unternehmen, da das Land auch nach anderen Partnern in den Bereichen Metallurgie, Fertigung und Raffination sucht.
Der Wunsch, die Handelsbeziehungen über China hinaus auszuweiten, könnte indes Indonesiens Anpassung an nachhaltigeres Wirtschaften auch im Nickelsektor beschleunigen. Anders als die opportunistische, chinesische Rohstoffpolitik und -beschaffung, erwarten die asiatischen, europäischen und US-amerikanischen Märkte die Einhaltung von Umweltstandards, was zusätzlich zu einem natürlichen und marktgetriebenen, nicht von der Politik gesteuerten Verbesserungsprozess führen könnte. Solche Initiativen erfordern zwar große Vorabinvestitionen, mehr Bürokratie und andere damit verbundene Kosten, aber auf der anderen Seite sollte man einen Aufschlag auf den Endpreis erzielen können, anders als es heute bei indonesischem Nickelroheisen (Nickel Pig Iron/NPI) der Fall ist, das wegen der mitunter zweifelhaften ESG-Eigenschaften mit einem erheblichen Abschlag gegenüber LME-Nickel gehandelt wird.
Die indonesische Regierung hat sich außerdem verpflichtet, ihre Emissionen durch den Einsatz alternativer, regenerativer und damit nachhaltigerer Energiequellen zu verringern. Die angestrebte Verringerung der Treibhausgase um 32-41% bis 2030 ist für eine aufstrebende Industrienation optimistisch, doch der zunehmende lokale und internationale Druck und der Wunsch nach einer Erweiterung des Handelshorizonts könnten zu bedeutenden Veränderungen führen. Diese Bemühungen sollten von den ausländischen Regierungen auch anerkannt und honoriert werden, um in der Zukunft noch mehr für eine nachhaltigere Produktion zu erreichen, die um Übrigen auch den Bürgern und Wählern sowie dem Wohlstand in Indonesien zugutekommt. Natürlich wird und muss es die Kosten der indonesischen Nickelproduktion erhöhen.
Überarbeitung der Abfallverbringungs-VO – mal wieder mehr Bürokratie
Ende Februar hat das Europäische Parlament der überarbeiteten Abfallverbringungsverordnung (AVVO) zugestimmt. Mit einem deutlichen Votum billigten die Abgeordneten die Fassung, auf der sie sich Ende 2023 mit dem Europäischen Rat geeinigt hatten. Dieser muss im nächsten Schritt seinerseits ebenfalls noch einmal formell seine Zustimmung erteilen. In drei Jahren, also 2027, greifen dann die in der AVVO vorgesehenen Veränderungen, welche unter anderem Einschränkungen des Außenhandels mitbringen. Dies trifft alle Abfälle, und auch jene die als nicht gefährliche Abfälle auf der sogenannten grünen Liste stehen, wie Metalle und Metalllegierungen und eben auch den Eisen- und Stahlschrott.
Die Neufassung der AVVO ist ein weiteres Ergebnis des europäischen Circular Economy Action Plan. Ziel: die Abhängigkeit von Primärrohstoffen reduzieren und den Recycling-Einsatz erhöhen. Dazu sollen Abfälle möglichst innerhalb der EU verbleiben. Für Ausfuhren in Länder außerhalb der EU will die Kommission sicherstellen, dass die Abfälle umweltgerecht behandelt und aufbereitet werden. Damit dies gewährleistet wird, müssen gemäß dem neuen Regelwerk die jeweiligen Verwertungsanlagen durch Dritte, unabhängige Auditoren begutachtet werden. Soweit die Regelung für Dritt-Länder, die OECD-Mitgliedstaaten sind.
Ausfuhren zu Anlagen in Dritt-Länder, die keine OECD-Mitgliedsstaaten sind, sehen sich einer weitaus größeren Hürde gegenüber. Um einen Handel erst möglich werden zu lassen, müssen eben jene Nicht-OECD-Mitgliedsstaaten einen Antrag an die EU-Kommission stellen und nachweisen, dass mit dem Importgut verantwortlich und umweltgerecht umgegangen wird.
Beides ist zwar per se kein explizites Export-Verbot, wie 2021 zu Beginn der Verhandlungen über die neue Verordnung in der Presse zu lesen war. Aber eine erhebliche Einschränkung und zugleich ein Vielfaches mehr an Bürokratie, und das wird dann auch spürbar sein. Ein Blick auf die europäischen Top Eisen- und Stahlschrott Exportdestinationen zeigt: vier der fünf größten Exportdestinationen sind keine OECD-Mitgliedsländer: Ägypten, Indien, Pakistan oder Bangladesch. Auf diese vier Länder entfielen in 2022 25% der europäischen Eisen- und Stahlschrottexporte. Die Türkei, welche in 2022 60% der europäischen Exporte ausmacht, ist OECD-Mitgliedsstaat, aber auch hier greift dann die neue Anforderung nach entsprechenden Audits.
Die Europäische Union ist, neben den USA, einer der größten Schrottexport Regionen; zum weltweiten Handel in der Größenordnung von rund 100 Millionen Tonnen im Jahr trugen die EU und die USA jeweils rund 18% bei. Damit ist Europa klar ein wesentlicher Spieler im globalen Marktsegment. Das liegt aber nicht etwa daran, dass der heimischen Industrie Recycling-Rohstoffe vorenthalten werden, sondern vielmehr die Ofen-Infrastruktur aus technischen Gründen nicht den gesamten Schrott aufnehmen kann oder aus ökonomischen Gründen dreckigen Primärrohstoffen der Vorzug gegeben wird.
Es muss leider befürchtet werden, dass mit der neuen AVVO und der mit ihr verbundenen Änderungen für Ausfuhren Auswirkungen auf die globalen Warenströme nach sich ziehen kann. Dies ist elementar, denn die Exporte aus der EU entstammen, wie vorstehend erläutert, aus einem strukturellem Nettoexportüberschuss. Will heißen, die in der EU aufbereiteten Schrotte können alle gar nicht in der EU und durch die hiesigen Stahlhersteller eingesetzt werden, die vorhandenen Verarbeitungskapazitäten reichen gar nicht aus. Der internationale Handel ist damit eine grundlegende, existentielle Komponente für die im Wesentlichen mittelständisch geprägte Europäische Recyclingwirtschaft.
Und noch ein Punkt: Handel mit einem Recycling-Rohstoff wie Stahlschrott ist aktiver Umweltschutz: er trägt maßgeblich dazu bei, den CO2-Fußabdruck der jeweiligen Stahlproduktion zu senken, ganz gleich, wo er eingesetzt wird.
LME (London Metal Exchange)
LME Official Close (3 Monate) | ||||
8. Oktober 2024 | ||||
Nickel (Ni) | Kupfer (Cu) | Aluminium (Al) | ||
Official Close 3 Mon.Ask |
17.675,00 USD/mt |
9.775,00 USD/mt |
2.585,50 USD/mt |
LME Bestände in mt | ||||
10. September 2024 | 8. Oktober 2024 | Delta in mt | Delta in % | |
Nickel (Ni) | 122.214 | 131.850 | + 9.636 | + 7,88% |
Kupfer (Cu) | 316.175 | 296.275 | – 19.900 | – 6,29% |
Aluminium (Al) | 831.350 | 777.775 | – 53.575 | – 6,44% |