Lage ist schwierig, aber differenziert
Die Lage der Weltwirtschaft ist weiterhin verzwickt, aber nicht aussichtslos, wenn man sich gewisse Zusammenhänge klar macht. Gegenwärtig zeigen die drei großen Wirtschaftsblöcke USA, China und Europa gleichzeitig mehr oder weniger starke Zeichen der Schwäche. Positiv sticht nur die ASEAN-Region hervor mit einer Wachstumserwartung für 2024 von rund 5%. Von den rezessiven Tendenzen sind insbesondere die industrielle Produktion und Fertigung betroffen. Die Einkaufsmanagerindizes kommen nicht aus dem kontraktiven oder neutralen Bereich heraus.
Dass es in den USA zusätzlich eine Tech-(Aktien)-Krise gibt, ist bei den vorherigen Kursanstiegen und der überbordenden Euphorie nun wirklich kein Wunder und muss konsequenterweise „ausgeschwitzt“ werden. Immerhin ist der Tech-Sektor in den USA zwar bedeutend, aber nicht das ausschließliche Rückgrat der Wirtschaft. Der industrielle Sektor war lange Zeit sogar deutlich weniger betroffen als in Europa. Und auch der eigentlich stets optimistische US-amerikanische Konsument ist mit seiner Kreditkarte ein steter Quell stabiler Nachfrage.
In China gibt es ein massives Problem mit dem Immobiliensektor. Auch keine Neuigkeit, die seit langem selbst die toten Spatzen von den Bäumen pfiffen. Letzteres ist nicht das Ende der chinesischen Wirtschaft, denn die Regierung wird wirklich alles dafür tun, das Problem zu entschärfen, hängt doch nicht zuletzt die Legitimation der (All-)Macht dieses autokratischen Systems von der stetigen Wohlstandserhöhung für die Bevölkerung und Problemlösungskompetenz ab. Nachdem diese bei Covid-19 eher ein Schlag ins Wasser war, der hinsichtlich der politischen Verantwortung nur schwer vom Staatspräsidenten fernzuhalten war, kann man sich weitere Fehltritte kaum erlauben. Insofern sollte die Motivation maximal hoch sein.
Man darf auch nicht vergessen, dass es in China und den anderen asiatischen Ländern, in denen chinesische Entwickler und Bauträger notleidende Immobilienprojekte haben, eine sehr große Bevölkerung gibt, die nach mehr Wohlstand strebt. Insofern darf man optimistisch sein, dass sich die leerstehenden Wohnungen irgendwann füllen und die halbfertigen fertig gebaut werden. Ein größerer Immobilienhai mit dem entsprechenden Segen schluckt sukzessive vielleicht auch die kleineren Haie und führt deren Aktivitäten zu Ende. Die kontinuierliche Erhöhung von Überwachung und Repression zeigt im Übrigen, wie nervös und angespannt der Regierungsapparat ist.
Industrie schaut zurück auf goldene Jahre
Was die globale Industrie angeht, sollte man vielleicht einmal darauf hinweisen, dass mit den Jahren 2021, 2022 und in manchen Sektoren, wie der Automobilindustrie sogar noch 2023 Rekordjahre hinter den Unternehmen liegen. Aufgrund der Umlenkung der finanziellen Budgets der privaten Haushalte in die Beschaffung langlebiger Konsumgüter und auch in die Renovierung und Verschönerung von Häusern, Wohnungen und Gärten – vor allem durch massive Einschränkungen bei anderen potenziellen Ausgaben wie Reisen und Gastronomie – wurde eine beispiellose und recht langlebige Sonderkonjunktur geschaffen.
Die Ankündigung einer Mehrwertsteuererhöhung vermag es nicht, nachhaltig eine so hohe Nachfrage zu erzeugen. Aber die Effekte sind vergleichbar, denn die entsprechenden privaten „Investitionen“ werden entweder vorgezogen und auf jeden Fall in einer bestimmten Anzahl von Jahren nur einmal getätigt, bevor erneuter Bedarf zum Ersatz besteht. Insofern musste und muss jedem Verantwortlichen aus diesen Unternehmen und eigentlich auch den Aktienanalysten klar sein, dass diese Extranachfrage nicht ewig anhalten würde. Vielmehr war es sogar zu erwarten, dass durch das Vorziehen von Investitionen in den folgenden Jahren erst einmal Flaute auf einem niedrigeren Niveau herrschen würde.
Da aber nicht alle Haushalte die Ausgaben vorgezogen haben und auch nicht in allen Ländern so lange so rigide Corona-Einschränkungen bestanden wie in China und Deutschland, ist nach Beendigung einer gewissen Durststrecke ganz sicher mit einem Anziehen der Nachfrage für langlebige Konsumgüter zu rechnen. Insofern sollte das Gewerbe als Profiteure in der Pandemie eigentlich froh sein, nicht mit den Problemen der Covid-19-Krise konfrontiert gewesen zu sein. Denn damit haben diese den Umsatz wenigstens einmal gemacht, während die Kolleginnen und Kollegen aus Sektoren wie Gastronomie, Tourismus und Entertainment die ausgefallenen Umsätze kaum nachholen können, denn mehr als drei Mahlzeiten am Tag machen keinen Sinn.
Breiter Stimmungsumschwung tut not
Wenn man sich von der vorstehenden Großwetterbetrachtung löst und eine kurzfristigere Perspektive einnimmt, muss man leider feststellen, dass die Stimmungsverbesserung, nach der Gewissheit für den Beginn von Leitzinssenkungen in den USA, kaum von Dauer war. Auch wenn jetzt im September eine Zinssenkung von 0,25% fast als sicher gilt, gab es bei den Rohstoffpreisen und so auch bei Nickel nur ein kurzes Zwischenhoch bis Ende August von knapp über USD 17.100,00/mt. Inzwischen sind die Zuwächse aber wieder abgeschmolzen und aktuell handelt Nickel bei USD 16.000,00/mt. Es überwiegt wieder die Sorge vor einer weiteren Abschwächung der Konjunktur in den großen Wirtschaftsnationen und damit auch eine risikoaverse (risk-off) Haltung der Investoren und Kapitalmärkte.
Um für den dringend notwendigen Stimmungswechsel zu sorgen, wäre eigentlich, um mit den Worten des amtierenden deutschen Bundeskanzlers zu sprechen, ein „Doppel-Wumms“ erforderlich. Daher wäre es zu wünschen, dass die Federal Reserve (Zentralbank der USA), die Märkte nicht nur mit einem einfachen Zinsschritt von 0,25% beglückt, sondern mit einer doppelten Senkung um 0,50% überrascht. Das könnte für eine Aufhellung der Perspektive sorgen. Nach hiesigem Dafürhalten wäre eine etwas höhere Inflation deutlich besser zu verkraften als ein Null- oder Negativwachstum. Überhaupt hat die „Gierflation“ sowohl bei den preistreibenden Unternehmen als auch bei den Beschäftigten und deren Gewerkschaften einen nicht allzu kleinen Anteil an dem nur schleppenden Rückgang der Inflation und der dadurch notwendigen hohen Zinsen. Denn die Rohstoff- und Energiepreise haben sich schon lange normalisiert. Aber so ist es eben.
Das Research der Commerzbank ist sich bezüglich des Verlaufs der Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht mehr so sicher. Nachdem der Leitzins bereits einmal um 0,25% auf 3,75% gesenkt wurde, ist die Frage nun, wie es weiter geht und wie tief der Zins wohl sinken wird. Die Analysten erwarten bis Frühjahr 2025 weitere Zinsschritte bis auf 2,75%, sehen dann aber nicht unbedingt weitere Senkungen folgen. Erklärung dafür sind aus Sicht der Commerzbank strukturelle Inflationstreiber, die recht plakativ mit die „5D“ beschrieben werden. Die „5D“ im Einzelnen sind die Decarbonisation aus der Energiewende, die Deglobalisation aus der zunehmenden Fragmentierung des Welthandels, der Demography, also dem demographischen Wandel, wie ebenso die steigenden Investitionen in die Verteidigung (Defense) und nicht zuletzt die staatliche Investitionsförderung durch die Erhöhung öffentlicher Schulden und Defizite (Debt & Deficit). Wenn die Commerzbank Recht behält, dürfte der geldpolitische Spielraum der EZB für weitere Zinsschritte beziehungsweise große Sprünge also überschaubar sein.
Japans Zentralbank gegen den Trend
Nachdem die japanische Zentralbank ein halbes Jahrzehnt lang Negativzinsen gezahlt oder sollte man besser sagen erhalten hatte, hob sie Ende Juli 2024 erstmals wieder den Leitzins an und beendete damit die jahrelange billige Finanzierung. Die lockere Geldpolitik war in erster Linie auf die anhaltende Deflation, das langsame Wirtschaftswachstum und die demografischen Herausforderungen zurückzuführen, mit denen Japan seit den 1990er Jahren zu kämpfen hat. Die billigen Kredite waren für Japan allerdings ein zweischneidiges Schwert, da sie zwar die Exporte der Wirtschaft ankurbelten, aber auch zu sogenannten Zombie-Unternehmen führten.
Aufgrund des langanhaltenden Niedrigzinses ist der Yen dem Carry-Trade ausgesetzt. Der Carry-Trade nutzt die Diskrepanzen zwischen den weltweiten Zinssätzen aus. Vereinfacht ausgedrückt leiht man sich eine niedrig verzinste Währung und tauscht (verkauft) sie gegen eine höher verzinste Währung oder einen höher verzinsten Vermögenswert, wobei der Händler darauf abzielt, aus der Differenz zwischen den Zinsen Kapital zu schlagen. Niedrig verzinste Währungen wie der japanische Yen und der Schweizer Franken sind seit langem Gegenstand dieser Geschäfte, insbesondere der japanische Yen, dessen Zinssatz seit mehr als fünf Jahren bei -0,1 % lag.
Als die japanische Zentralbank dann ihren Leitzins anhob, während gleichzeitig schwache US-Arbeitsmarktdaten veröffentlicht wurden, stieg der Yen gegenüber dem US-Dollar um 11 %. Reuters berichtet, dass „Makro-Fonds bei diesem Handel auf dem falschen Fuß erwischt wurden“, und zitiert Mark Dowding, Chief Investment Officer bei BlueBay Asset Management. Da die meisten institutionellen Carry-Trader mit einem großen Leverage (Hebel) arbeiten, werden die Auswirkungen auf die Märkte noch verstärkt, wenn auf ihre Positionen Nachschussforderungen fällig werden, was Anfang August zu einem breiteren Aktienausverkauf führte. Auch der Kauf von Yen mit dem vorstehend beschriebenen Anstieg des Wechselkurses steht in diesem Zusammenhang.
Während die Ära der Negativzinsen für Japans Zentralbank nun erst einmal vorbei ist, richten sich die Augen nun , wie oben bereits diskutiert, auf die US-Notenbank (Fed). Schwache Wirtschaftsdaten, die auf eine Rezession hindeuten, und entsprechende Korrekturen an den Aktienbörsen haben den Markt beziehungsweise die Händler dazu veranlasst, Zinssenkungen im September durch die Fed bereits einzupreisen. Diese hatte inzwischen auch angedeutet, dass die Zeit reif ist.
Weiche Wirtschaftsdaten aus China
Seit der Öffnung seiner Tore für den Welthandel hat sich China zu einer wirtschaftlichen Lokomotive entwickelt und ist zu einem industriellen Kraftwerk geworden. Mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 9 % seit 1978 hat das Land eine beeindruckende Widerstandsfähigkeit bewiesen und sogar Stürme wie die Finanzkrise von 2008 überstanden, was jedoch nicht unumstritten ist.
Kritiker argumentieren, dass das unerbittliche Streben nach Wachstum nicht nachhaltig ist, da das Wirtschafts-modell stark von staatlichen Subventionen und Investitionen angetrieben wird. Im Gegenzug haben Chinas lokale Regierungen und Industrien Berge von Schulden angehäuft, insbesondere der Immobiliensektor, und es ist ungewiss, wie lange dies ohne eine Korrektur aufrechterhalten werden kann. Daher ist es durchaus besorgnis-erregend, dass die chinesischen Industrien jetzt eine Verlangsamung signalisieren.
Der weltgrößte Stahlhersteller China Baowu Steel Group warnt in seinem Halbjahresbericht, dass dem chinesischen Stahlsektor außerordentliche Zeiten bevorstehen, da das derzeitige Umfeld schwieriger zu sein scheint als die Krisen in 2008 und 2015. Die Exporte aus China unterstreichen diese Realität, da sie in diesem Jahr, angesichts einer sehr geringen Inlandsnachfrage, mehr als 100 Millionen Tonnen erreichen werden, so viel wie seit 2016 nicht mehr, so Mysteel. Die Inlandsnachfrage ist aufgrund der vorsichtigen Verbraucher und des schwankenden Immobiliensektors zurückgegangen, und der Überschuss gelangt nun auf die Weltmärkte. Insofern ist es durchaus notwendig und richtig, dass sich andere Volkswirtschaften gegen mögliches Dumping schützen.
Die jüngsten Wirtschaftsdaten und -indikatoren aus China deuten ebenfalls darauf hin, dass die Industrielokomotive an Fahrt verliert und die Zeit für einen Politikwechsel reif sein könnte. Die Einkaufsmanagerindizes des verarbeitenden Gewerbes von NBS und Caixin für August, die bei 49,1 respektive 50,4 landeten, zeigen, dass sich das chinesische verarbeitende Gewerbe im kontraktiven Bereich befindet, während ein wichtiger Indikator für die Industrietätigkeit, der Pekinger Pollution Index (Umweltverschmutzungsindex), laut Steno Research im August dieses Jahres ebenfalls rapide zurückging.
Auch die weltweite Endverbrauchernachfrage könnte kurzfristig ein großes Hindernis für China und andere Industrienationen darstellen, da die Verbraucher in China und im Ausland nach einer langen Inflationsphase mit ihrer begrenzten Kaufkraft vorsichtig sind. Das zeigt sich zum Beispiel auch im Bereich der Luxusgüter. Die Luxuskonzerne stecken in der Krise, weil nicht nur die markenaffine und kaufkräftige chinesische Mittel- und Oberschicht, derzeit zum Beispiel darauf verzichtet, Luxushandtaschen mit Produktionskosten von wenigen hundert US-Dollars zu Preisen von mehreren tausend US-Dollars zu kaufen. Niedrigere Zinssätze in den USA und in Europa könnten die Ausgaben, natürlich hoffentlich nicht nur im Luxusbereich, wieder ankurbeln, aber es ist derzeit schwer abzuschätzen, wie stark die Auswirkungen sein werden (siehe hierzu auch oben).
Edelstahl Preissteigerung durch Importzölle der EU?
Die Europäische Kommission erhebt Ausgleichs- und Antidumpingzölle auf Einfuhren von kaltgewalztem Edelstahl aus Taiwan und Vietnam, was in einigen Fällen zu Zollsätzen von fast 40% führen wird. Diese Maßnahme erfolgte nach einer Untersuchung, die zeigte, dass die Ausgleichszölle auf indonesische Einfuhren umgangen wurden. Daher wurden die Zölle auf Einfuhren aus Taiwan und Vietnam ausgedehnt.
Zusätzlich wurde auch der indonesische Antidumpingzoll von 19,3% auf Taiwan und Vietnam ausgedehnt, da Beweise dafür vorliegen, dass Unternehmen in diesen Ländern auch die Antidumpingzölle umgehen. Einige Edelstahlunternehmen in den betroffenen Ländern wurden von einem oder beiden Zöllen befreit, während andere nun mit erheblichen Kosten konfrontiert werden. Die EU-Kommission hat den derzeitigen taiwanesischen Antidumpingzoll von 6,8% für Unternehmen, die nicht von dem neuen Satz befreit sind, ausgesetzt, um eine doppelte Erhebung von Zöllen zu vermeiden. In Fällen, in denen der EU-Schutzzoll für Stahleinfuhren gilt, werden nur Zölle erhoben, die höher sind als der allgemeine Zollsatz von 25%.
Acht Unternehmen aus Taiwan und Vietnam wurden von dem neuen Antidumpingzollsatz von 19,3% befreit, darunter Yieh United Steel, Chia Far Industrial Factory, Yuan Long Stainless Steel, Tung Mung Development, Tang Eng Iron Works, WalsinLihwa, Posco VST und Lam Khang Joint Stock Company.
Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Edelstahlimporteure ihre Lieferketten anpassen und damit Einfuhrpreise steigen und/oder Lieferzeiten verlängert werden. Wieso in die Ferne schweifen, wenn das Gute, der europäische „grüne“, weil aus Edelstahlschrott mit regenerativer Energie produzierte Edelstahl doch so nah liegt.
LME (London Metal Exchange)
LME Official Close (3 Monate) | ||||
10. September 2024 | ||||
Nickel (Ni) | Kupfer (Cu) | Aluminium (Al) | ||
Official Close 3 Mon.Ask |
15.830,00 USD/mt |
9.064,50 USD/mt |
2.344,00 USD/mt |
LME Bestände in mt | ||||
13. August 2024 | 10. September 2024 | Delta in mt | Delta in % | |
Nickel (Ni) | 113.712 | 122.214 | + 8.502 | + 7,48% |
Kupfer (Cu) | 305.625 | 316.175 | + 10.550 | + 3,45% |
Aluminium (Al) | 899.900 | 831.350 | – 68.500 | – 7,62% |