Tauglichkeit von Rohstoffpreisen als Frühindikatoren. Die Neue Zürcher Zeitung vermutet Ignoranz der Aktienanleger. Der ökonomische Mainstream der 1980er Jahre gehört in die Mottenkiste.

Ein Eigenleben der Rohstoffpreise gibt es heute kaum noch. Alles ist vernetzt und Rohstoffe sind eine Assetklasse. Volatilität schon lange kein Segen mehr des Handels. Der Schulz-Effekt greift um sich.

Die Bewegung des Nickelpreises in 2017 hat Makro- und Mikroursachen. Nickel spielt direkt kaum eine Rolle. Ein abstrakter und ein anschaulicher Erklärungsversuch mit Happy End.

ERAMET vereint Kräfte mit dem chinesischen Stahlkonzern Tsingshan. Nickellagerstätte Weda Bay in Indonesien soll gemeinsam erschlossen werden. Ab 2020 sind 30.000 Tonnen Nickel angepeilt.

Die durchaus sehr renommierte und seriöse Schweizer Tageszeitung NZZ (Neue Zürcher Zeitung) hat im Mai einen Artikel unter dem Titel „Schwache Rohstoffpreise gehen unter – Aktienanleger ignorieren die Preissignale von Energie- und Metallkontrakten“ veröffentlicht. Kurz zusammengefasst wird darauf hingewiesen, dass die Rohstoffpreise ein Frühindikator der Wirtschaftsentwicklung sind. Auch wird am Beispiel der Korrektur von Erdöl- und Eisenerzpreis darauf hingewiesen, dass gewisse inflationäre Tendenzen nun zurückgehen könnten, was auch eine Reaktion der nach wie vor euphorischen Aktienanleger auslösen könnte. Denn die Wirkungen auf die Aktienmärkte stehen im eigentlichen Interesse des Artikels.

Nun ist die NZZ wirklich eine sehr traditionelle Zeitung, deren Gründung auf das Jahr 1780 zurückgeht, so dass man dort den Kommentar: „Das ist aber nun wirklich Old School“ fast als Kompliment verstehen könnte. Aber so ist es nicht gemeint. Vielmehr ist der volkswirtschaftliche Zusammenhang zwischen Rohstoffpreisen wie Kupfer, Öl et cetera und der Konjunktur beziehungsweise den Aktienmärkten ökonomischer Mainstream der 1980er Jahre und gehört in die Mottenkiste. Damit soll nicht gesagt sein, dass die einzelnen Parameter nicht miteinander zusammenhingen, aber leider besteht heute – genauer gesagt, seit den frühen 2000er Jahren, als aus den Rohstoffen eine sogenannte Assetklasse wurde – keinerlei stabiler Zusammenhang mehr.

Vielmehr wird das preisliche Eigenleben der Rohstoffe ganz wesentlich durch Risiko- und Anlageentscheidungen von Investoren, um nicht zu sagen Spekulanten geprägt. Und da, wo nicht die Finanzmärkte spekulieren, tun es ihnen die Realgütermärkte nach, wie unten zu lesen ist. Daher kann man auch heute aus Rohstoffpreisen nicht mehr auf die Konjunkturentwicklung und auf die Aktienmärkte schließen, sowie es umgekehrt auch nicht mehr funktioniert. Daher ist die Volatilität auch nicht wirklich mehr ein Segen für den Handel jeglicher Art, denn es gibt kaum noch valide Indizien, in welche Richtung sich
Preise denn bewegen könnten. Bei den Wahlprognosen trifft das interessanterweise ebenso zu. Vielmehr scheint sich jede Bewegung selbst zu verstärken, positiv wie negativ, bei jeweils abrupten Richtungswechseln. Als Parallele könnte man hier vielleicht den sogenannten „Schulz-Effekt“ nennen. Da die vorstehende Analyse jedoch einigermaßen abstrakt ist, könnte man sich zum Beispiel einmal den Edelstahlmarkt und die damit verbundenen Rohstoffe ansehen. Das wollen wir nun gemeinsam tun:

Für die Entwicklung des Nickelpreises an der London Metal Exchange (LME) in 2017 ist so ziemlich alles verantwortlich, nur sicherlich nicht ursächlich die Konjunkturentwicklung oder irgendein anderes Early Warning Signal. Zum Jahresanfang lag der Nickelpreis bei um USD 10.000,00/mt. Im weiteren Verlauf befestigte sich die Notierung bis Ende Februar auf bis zu USD 11.000,00/mt. Im Laufe des März gab es einen Rücksetzer bis auf USD 9.900,00/mt. Dann folgte ein kurzes Innehalten und der Nickelpreis befestigte sich wieder bis auf USD 10.300,00/mt. Seitdem reduzierte sich der Nickelkurs schrittweise, zunächst auf USD 9.300,00-9.400,00/mt und nun auf USD 8.800,00-9.000,00/mt. Und hat die ganze Bewegung etwas mit Nickel im engeren Sinne zu tun? Eher nicht. Aber womit?

Nach Einschätzung des Autors gibt es zwei wesentliche Ursachen. Zum einen ist die Euphorie hinsichtlich des Infrastrukturprogramms der Trump-Regierung mehr als verflogen, wenn nicht ins Gegenteil umgeschlagen. Und auch die Komplexität des Brexit hinterlässt zunehmend Spuren. In China bekommt man langsam die Immobilienpreise in den Griff, aber eine Dämpfung der Baukonjunktur wird erwartet. Damit sind die Aktienmärkte in der Wahrnehmung des Standardinvestors aktuell eben doch die einzige alternative Geldanlage, die Kursrenditen verspricht. Den Rohstoffen wird hingegen durch die Anleger in der Tendenz aktuell eher wieder etwas Vertrauen entzogen. Schwächere Notierungen sind die zwangsläufige Folge. Soweit die Makroerklärung.

Auf der Mikroebene scheint die Entwicklung des Chrompreises und die jeweiligen Erwartungen die entscheidende Einflussgröße zu sein. War der Preis für Ferrochrom in 2016 weitgehend stabil, mit leicht steigendem Trend, ergab sich für den Referenzpreis der südafrikanischen Produzenten für die europäischen Verbraucher vom 4. Quartal 2016 auf das 1. Quartal 2017 ein kräftiger Anstieg von 50% beziehungsweise von USD 1,10/lb auf USD 1,65/lb. Im Vorgriff auf diesen erwarteten Preisanstieg orderte der lagerhaltende Edelstahlhandel offensichtlich offensiv und in spekulativer Erwartung eines Preisanstiegs, wodurch sich die Orderbücher der Edelstahlproduzenten gut füllten. Und mit USD 1,65/lb kam der Preisanstieg dann noch stärker als erwartet, was weitere Eindeckungen folgen ließ.

Denn über den Preisüberwälzungsmechanismus des sogenannten Legierungszuschlags war bereits klar, dass eine Phase steigender respektive stabil hoher Preise folgen würde. Allerdings kamen, je näher das Quartalsende und ein neuer Referenzpreis rückten, zunehmend Zweifel auf, ob ein Chrompreis in Höhe von USD 1,65/lb nachhaltig gerechtfertigt sei. So wurde dann auch mit einer Korrektur für das zweite Quartal gerechnet und eine gewisse Vorsicht hinsichtlich eines weiteren Bestandsaufbaus wurde virulent. Allerdings nur für sehr kurze Zeit, denn die Korrektur fiel mit USD 0,11/lb auf USD 1,54/lb doch deutlich moderater aus als erwartet und das spekulative Verhaltensmuster lief erst einmal weiter. Wiederum in der Überzeugung stabil hoher Preise gesichert durch den Legierungszuschlag.

Zunehmend und fast zu erwarten setzte sich dann aber im 2. Quartal wiederum die Befürchtung durch, dass der Chrompreis vielleicht noch etwas zu hoch sein könnte. Und dieses Mal übte sich der Handel wohl sehr abrupt in Kaufzurückhaltung und die Auftragseingänge bei den Edelstahlwerken gingen erst einmal deutlich zurück, mit Einfluss auch auf die sonstige Rohstoffnachfrage. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich mancher Marktbegleiter im Bereich Edelstahlschrott mit einer nicht nachvollziehbaren Einkaufspreisstrategie dazu hinreißen ließ, den vorgelagerten Handel bezüglich der Reduzierung des Chromreferenzpreises hinsichtlich Auswirkung auf den Edelstahlschrottpreis zu beruhigen. Man ging wohl von einem steigenden Nickelpreis aus, der sich dann aber nicht realisierte.

In der Gesamtschau ist unübersehbar, dass das Instrument des Legierungszuschlags auch weiterhin zu Spekulation und opportunistischem Verhalten einlädt. Statt der erwünschten Stabilität sorgt die Berechenbarkeit des Einflusses von (erwarteten) Rohstoffpreisänderungen auf den Edelstahlpreis zu einer unerwünschten Volatilität. Nicht umsonst ist daher auch eine merkwürdige Parallelität zur jeweiligen Richtung, wenn auch nicht unbedingt Stärke, der Nickelpreisentwicklung (siehe oben) feststellbar, denn Einbrüche im Auftragseingang spiegeln sich in einem gewissen Umfang natürlich auch in der kurzfristigen Nachfrage bei den anderen Edelstahlrohstoffen wider. Von daher gilt auch weiterhin, die hier vertretene Forderung, dass ein aktives Rohstoffpreismanagement der Edelstahlhersteller für die gesamte Wertschöpfungskette einen höheren Wert hinsichtlich Preisstabilität und Planbarkeit des Geschäfts hätte, als das Vertrauen auf eine antiquierte Formel, die ein ganzes Handelssegment zur Spekulation einlädt. Von Industrie 4.0 und künstlicher Intelligenz ist wenig zu spüren. Und, wenn zwar der Legierungszuschlag für eine (sehr berechenbare) Überwälzung von Rohstoffpreisen sorgt, dann wird man am Ende von einem Einbruch in den Auftragsbüchern getroffen und gewonnen ist nichts.

Die gute Nachricht aktuell ist aber, dass die Konjunkturdaten und die Edelstahlnachfrage und der -verbrauch – trotz einer Abschwächung in China und vermutlich ohne eine Mauer an der mexikanischen Grenze (als Sinnbild des Trumpschen Infrastrukturpakets) überaus erfreulich erscheinen. Daher ist die wahrscheinlichste Entwicklung diejenige, dass es zunächst zu einer Korrektur bei Chrom für das 3. Quartal 2017 kommen wird.

Diese muss auch durch den Markt zunächst verarbeitet werden, aber aufgrund des allgemein hohen Bedarfs, sollte das Geschäft recht bald wieder auf die normalen Niveaus zurückkehren.

In einer Pressemitteilung vom 8. Juni teilt der französische Legierungsproduzent ERAMET mit, dass er mit dem chinesischen Stahlkonzern Tsingshan eine Vereinbarung zur Entwicklung der indonesischen Nickellagerstätte Weda Bay abgeschlossen hat. Das im Jahr 2006 von ERAMET erworbene Vorkommen soll über mehr als 9,3 Millionen Tonnen Nickel verfügen. ERAMET bringt die in allen geologischen Details explorierte Lagerstätte ein, während sich Tsingshan auf die Ausweitung der industriellen Weiterverarbeitung konzentrieren wird. Ab 2020 sollen dann 30.000 Tonnen Nickel in Form von Ferrolegierungen in einem pyrometallurgischen Prozess raffiniert werden. Jeder Partner wird seinen Anteil an der Produktion vermarkten, wobei ERAMET 43% und die Tsingshan-Gruppe 57% der Anteile halten wird.

LME (London Metal Exchange)

LME Official Close (3 Monate)
13. Juni 2017
Nickel (Ni) Kupfer (Cu) Aluminium (Al)
Official Close
3 Mon.Ask
8.790,00
USD/mt
5.693,00
USD/mt
1.883,50
USD/mt
LME Bestände in mt
15. Mai 2017 13. Juni 2017 Delta in mt Delta in %
Nickel (Ni) 379.638 375.822 – 3.816 – 1,01%
Kupfer (Cu) 325.150 275.850 – 49.300 – 15,16%
Aluminium (Al) 1.545.025 1.444.550 – 100.475 – 6,50%

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